Autor: Oksana Melnychuk, Sonderkorrespondentin in Frankreich
Einleitung. Wenn Solidarität zur Waffe wird
In einer Welt, in der politische Erklärungen oft lauter klingen als echte Taten, bleibt die französische Gesellschaft eine der seltenen europäischen Stimmen, die nicht nur den Krieg kommentiert, sondern handelt. Französische Journalisten sterben bei Berichten an der Front. Französische Spender sammeln Millionen Euro. Französische Freiwillige reisen in die heißesten Punkte der Front.
Unter ihnen ist Xavier Titelman, Luftfahrtexperte, Influencer und Freiwilliger, dessen Stimme zu den auffälligsten in der öffentlichen Diskussion über die Unterstützung der Ukraine geworden ist.
Neben ihm steht Oksana Melnychuk, ukrainische Journalistin und Kommunikatorin, die seit Jahren Frankreich die Wahrheit über den Krieg erzählt. Ihr Treffen in Paris verwandelte sich in ein Gespräch über Sieg, Verluste, die Verantwortung Europas und warum die französische Hilfe zu "Flügeln der ukrainischen Widerstandskraft" geworden ist.
I. Wenn Projekte aus Verzweiflung geboren werden: Wie die Franzosen einen Weg fanden, den "Himmel zu schließen"
Bereits im Jahr 2022 hatten die Ukrainer eine Bitte an die Welt: Schließt unseren Himmel. Militärisch geschah dies nicht. Aber eine andere Antwort wurde geboren – eine zivile.
Oksana erinnert sich:
"Zu Beginn des Krieges beteten alle zu Gott, den Himmel zu schließen. Und neben militärischen Entscheidungen tauchten Menschen auf, die einfach nicht stillsitzen konnten. So entstand ein wunderbares Projekt, über das kaum berichtet wurde – das Projekt von Xavier und seinen Kollegen."
Das Projekt wurde von fast allen Regionen Frankreichs unterstützt. In der Warteschlange steht Polen, das nur noch formell zustimmen muss, die Initiative auf sein Territorium auszuweiten.
II. Ukrainer im Ausland – das sind keine Emigranten. Das sind Botschafter des Krieges
Oksana erinnert an einen wichtigen Gedanken:
"Wenn Ukrainer ins Ausland gehen, scheint das schlecht zu sein. Aber das sind unsere Rächer, unsere Stimmen. Das sind Menschen wie Xavier, die alles tun, damit die Ukraine gewinnt."
In Frankreich sind Hunderttausende von Ukrainern zur Brücke zwischen den beiden Ländern geworden – und gerade dank ihnen arbeiten Hunderte von Freiwilligenstrukturen, Kollektiven und Wohltätigkeitsplattformen ohne Pause.
III. Die zentrale Frage an die französischen Politiker: Was bedeutet "Sieg"?
Xavier spricht darüber, dass man in Paris eine direkte Antwort vermeidet:
"Heute muss endlich definiert werden, was 'gewinnen' bedeutet. Das ist ein riesiges Problem."
Und er erklärt sofort:
1. Militärischer Realismus
"Militärisch sieht es nicht realistisch aus, dass die Ukraine alle Gebiete ausschließlich mit Waffengewalt befreien kann."
2. Aber strategisch – die Ukraine hat bereits gewonnen
"Russland wollte die ukrainische Regierung stürzen. Das hat es nicht geschafft. Sie haben Zehntausende von Technik und über eine Million Menschen verloren. Das ist ein großer Sieg. Nur kein vollständiger."
3. Europa ist abwesend
"Das Problem heute ist, dass Europa politisch unsichtbar ist. Ja, es leistet wirtschaftliche und militärische Hilfe, aber es geschieht langsam. Wir haben 2022 eine einzigartige Chance verpasst. Hätten wir damals alles Notwendige getan – heute gäbe es einen Friedensvertrag. Wir hätten Hunderttausende von Menschen retten können."
IV. Der Glaube der Ukrainer an die Zukunft ist stärker als der französische
Xavier sagt, dass er im Laufe des Krieges die Ukraine 16 Mal besucht hat:
"Ich habe das Gefühl, dass die Ukrainer mehr an ihre Zukunft glauben als die Franzosen an ihre. Sie sind bereit zu bauen. Und das ist eine Investition, die sich auszahlen wird – wie in Polen vor 30 Jahren."
Der Vergleich ist sehr treffend: Polen war in den 1990er Jahren ärmer und weniger industrialisiert als das heutige Ukraine. Und jetzt kann auch Kiew denselben Weg gehen.
V. Medien, Propaganda und große französische Unterstützung
Oksana fragte Xavier direkt: "Welche Rolle spielen die französischen Medien in diesem Krieg?"
1. Die Wahrnehmung hat sich verändert
"Früher dachte man, dass französische Journalisten Zelensky zu kritisch gegenüberstehen. Aber die Unterstützung ist nur gewachsen."
2. Russische Propaganda verliert an Einfluss
"Ja, die Medien geben verschiedenen Positionen eine Stimme. Aber die Propaganda funktioniert nicht. Nur 30–40% der Menschen sind empfänglich. Und diese Zahl sinkt – selbst in der traditionell pro-russischen extremen Rechten."
3. Die Franzosen spenden jedes Jahr mehr
"Meine Gemeinschaft hat in einem Jahr über eine Million Euro gesammelt. Und in diesem Jahr werden wir den Rekord brechen."
VI. Warum gehen Franzosen in die Ukraine kämpfen?
Oksana: "Erzähl von den Franzosen, die gestorben sind. Von denen, die weiterhin kommen. Wer sind sie?"
Xavier:
1. Das sind Idealisten
"Sie sehen, dass ihr Zuhause – Europa – angegriffen wird. Und sie verteidigen die Ukraine genauso, wie sie Frankreich verteidigen würden."
2. Das sind Retter
"Es gibt solche wie den Scharfschützen Frank. Er hat über 60 Russen getötet. Aber er kam nicht, um zu 'töten', er kam, um Kinder zu beschützen."
3. Das sind Feuerwehrleute, keine Politiker
"Sie sprechen nicht über Demokratie oder Werte. Sie sagen: Wir sind gekommen, um das Feuer zu löschen."
4. Das sind Menschen, die den höchsten Preis zahlen
"Über dreißig Franzosen sind gestorben. Freunde. Menschen, deren Namen nie wieder im Fernsehen genannt werden."
VII. Franzosen an der Front: Wer sind sie wirklich?
Die Gegensätze zur russischen Propaganda sind beeindruckend:
"Ich war letzte Woche in Asow – und dort war ein Anarchist, ein Marokkaner, ein ehemaliger Legionär. Das ist nicht das, was die russische Propaganda erzählt. Das ist eine Gemeinschaft von Menschen aus verschiedenen Kulturen, die gekommen sind, um für ein gemeinsames Ziel zu kämpfen."
Und die Gemeinschaft von Xavier gibt ihnen das, was manchmal Leben rettet: Wärmebildkameras, Autos, Nachtsichtgeräte.
VIII. Oksanas Worte. Wenn Unterstützung zu Flügeln wird
Am Ende des Treffens sagte Oksana Worte, die zum Slogan der ukrainisch-französischen Freundschaft werden könnten:
"Eure Solidarität nennen wir die Flügel unserer Widerstandskraft und die Pfeile unseres Widerstands. Heute haben wir uns mit einem weiteren solchen Pfeil getroffen – unserem großen Freund der Ukraine, Xavier."
IX. Kleine Symbole eines großen Krieges
Xavier zeigt seine Sammlung von Militär-Patches:
"Weil Napoleon Moskau verbrannt hat. Historisch ist das nicht ganz genau, aber ein Symbol ist ein Symbol. Unter unseren Abzeichen ist der Patch 'Burn Moscow Again'. Und das ist der Patch der frankophonen Kämpfer: Napoleon, dessen französische und ukrainische Farben verbunden sind."
In diesem kleinen Detail liegt die gesamte Essenz des Krieges: Symbole haben Bedeutung. Manchmal sagt ein kleines Stück Stoff mehr als die Rede eines Präsidenten.

Fazit. Frankreich und die Ukraine stehen Seite an Seite
Ukrainer unterschätzen oft, wie stark Frankreich Kiew unterstützt. Und Franzosen unterschätzen manchmal, wie viel ihre Solidarität bedeutet.
Und dieses Gespräch zwischen Xavier und Oksana ist ein weiterer Beweis: Die Welt steht auf Menschen, nicht auf Regierungen. Auf Freiwillige, nicht auf Protokolle. Auf diejenigen, die an Freiheit glauben, so stark wie die Ukrainer an den morgigen Tag glauben.

